Von Menschen und Katzen
In einer kleinen Stadt, die an einem großen Fluss lag, lebte vor vielen, vielen Jahren ein armes, aber umso gutmütigeres junges Mädchen. Sie hieß Magdalena. Einen Nachnamen hatte sie nicht.
Magdalena fristete ihr Dasein auf den kalten, schmutzigen Straßen der Stadt. Mit ihr hatte sie immer ein Kätzchen, dass in viele Lumpen eingewickelt auf ihrem Arm schlummerte. Das Kätzchen, das Rubina hieß, sah sehr krank aus – es war dünn und viel zu klein.
Magdalena hatte ihren kleinen Begleiter Rubina genannt, weil so oft die Kinder reicher Leute hießen – Rocksana, Appolonia, Minerva oder eben Rubina. Und genau wie ein solcher reicher Mensch, der seine Tochter Rubina nennen würde, sah der Mann aus, der das Kätzchen einst in den großen, reißenden Fluss geworfen hatte. Glänzende, lederne Stiefel, seidene Strümpfe, samtene Hosen ,Wams und Umhang. Er war einer dieser Adeligen, die sich einen Dreck um arme Obdachlose scherten, immer böse aussahen und Tierkinder entweder aßen oder kaltblütig ermordeten.
Die junge Magdalena hatte den miauenden Leinensack aus dem Wasser gefischt und das Kätzchen liebevoll großgezogen. Gab ihm ab von ihrem Essen und Trinken. Sie stahl sogar manches Mal ein Stück Fleisch oder einen Schluck Milch.
Doch jetzt kam der Winter und der kleinen Rubina begann es immer schlechter zu gehen. Magdalena wusste, was passieren würde. So kam es auch.
Am heutigen Morgen fand sie ihren treuen Begleiter kalt und steif zwischen seinen Lumpen. Die Augen starr geöffnet und bedeckt von einer dünnen Eisschicht.
Sie wusste es, trotzdem war sie furchtbar traurig. Sie begann zu weinen. So bitterlich wie man es nur selten hörte. War doch Rubina Magdalenas einzige Freundin – nun fort, für immer weg.
Sie wickelte, als sie sich einigermaßen beruhigt hatte, die Katzenleiche wieder in die Lumpen ein und machte sich auf den Weg zum Flussufer, wo eine große Trauerweide stand. Dort wollte sie Rubina begraben, beschützt von diesem großen Baum.
Magdalena hatte einige Schwierigkeiten mit bloßen Händen die gefrorene Erde aufzuwühlen, schaffte es aber nach vieler Mühe dennoch. Sie sprach noch ein Gebet, das einzige, welches sie kannte, verlor einige Tränen und wandte sich schließlich wieder um, Richtung Brücke.
Doch was sie auf der Brücke sah, ließ sie stocken. Dort stand ein Mann mit einem Leinensack in der Hand, aus dem miauende Geräusche kamen, im Begriff ebendiesen Sack in das kalte Wasser zu werfen. Es war ein reicher Mann, und Magdalena erkannte ihn wieder. Sie hätte ihn unter Tausenden wieder erkannt. Es war ebenjener Mann, der auch Rubina töten wollte. Nun wollte er wieder ein Kätzchen töten.
Magdalena wollte aufschreien, doch war es zu spät, der Sack fiel, und fiel, und platschte in das Wasser, teilte eine Welle, ging unter, tauchte nahe am Ufer wieder auf.
Das junge Mädchen stürzte in die Nähe des Sackes, griff einen dünnen Ast um sich festzuhalten und versuchte den dahintreibenden, zappelnden Sack zu erreichen. Sie spürte bereits das eisige Wasser, dass über ihre kaputten Stiefel schwabbte und wie sich der Saum ihres zerlumpten Rockes mit dieser Nässe voll sog.
Sie streckte sich, sie berührte den Sack mit den Fingerspitzen, konnte ihn jedoch nicht greifen.
Da geschah es – Magdalena hörte etwas knacken und kaum eine Sekunde später wurde sie vom Fluss fortgerissen. Plötzlich war das eiskalte Wasser überall – in ihren Schuhen, in ihren Kleidern, in ihren Ohren, in ihrer Nase, in ihren Augen, in ihrem Mund und in ihrer Lunge. Sie konnte keine Luft mehr holen, hörte nur noch das Rauschen des Wassers, spürte nur noch Kälte. Doch schon bald schwanden ihre Sinne, ihr Körper gab auf, starb.
Noch an Magdalenas Todestag wurde sie aus dem Wasser gezogen. Nun lag sie in einer tiefen Grube in der Erde, ohne Sarg. Blaue Lippen, bläuliche Haut im Kontrast zu ihrer feuerroten Haarmähne, die nun beschmutzt von Erde um ihr Gesicht wallte.
„Zu jung zum Sterben...“, murmelte der Pfarrer und sprach noch ein Gebet. So, wie alle anderen es taten.
„So ein junges Ding ertrinkt doch nicht einfach, wie kann das sein?“
„Hübsches Mädchen, sie hat den Tod doch nicht verdient...“, hörte man die Leute sagen, die um die Grube herumstanden.
Viele weinten sogar. Andere Obdachlose, die Magdalena kannten, weinten, Arme weinten und Reiche weinten und Menschen weinten und Tiere weinten unter einer großen Trauerweide.
„Es war der Fluss! Der Fluss hat sie getötet!“