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Die Welt, die wir nicht kennen wollen

 

Die Welt, die wir nicht kennen wollen

 

Ich bin gerade gestorben.


Glaubt ihr an Engel? Wenn nicht, was denkt ihr, wie ich euch diese Geschichte erzählen kann?

Wer bin ich jetzt? Ich weiß nur eines: ich bin definitiv tot.

Ich schwebe nämlich gerade über meinem Körper, der nun, von einem weißen Tuch bedeckt, in der Intensivstation des Krankenhauses liegt. Ein Assistenzarzt räumt gerade seine Utensilien weg; die anderen Ärzte, die um mein Leben gekämpft hatten, haben den Raum schon verlassen. Vermutlich, um einen anderen Menschen zu retten. Vielleicht haben sie dieses Mal Glück.


Ich habe keine Angehörigen oder Freunde, die sie benachrichtigen könnten. Meine Eltern sind vor einigen Jahren spurlos verschwunden, und meine Freunde... ich weiß es nicht. Entweder sind sie geflüchtet, oder sie sind auch tot, so wie ich jetzt.


Es hat nämlich einen Anschlag gegeben - einen Anschlag auf unsere ansonsten so friedliche Stadt. Kaum zu glauben, dass diese Terroristen auch uns erwischt haben.
Ich weiß noch, wie ich vor genau einer Woche im Fernsehen Nachrichten gesehen habe. Da berichteten sie von Terroristen, die in einigen Städten Bomben hochgehen ließen, Züge oder Busse in die Luft sprengten, sogar Menschen am helllichten Tage erschossen. Sie haben auch Bilder gezeigt - Bilder von entgleisten Zügen, ausgebrannten Gebäuden, und Leichen. Leichen, die zwar bedeckt waren, denen man aber trotzdem klar und deutlich den Schmerz ihrer letzten Atemzüge ansehen konnte. Sie lagen in einer dunklen Lache ihres eigenen Blutes - ziemlich schockierende Anblicke, sogar für die "härtesten" unter uns.

Da habe ich mich gefragt: Wozu das alles? Was wollen diese Terroristen erreichen? Es war mir alles ein Rätsel. Nein, ich korrigiere: es IST mir noch ein Rätsel. Und wir können nichts dagegen tun - wir sind machtlos.

Neue Sicherheitsvorkehrungen werden getroffen, doch sie finden immer einen Weg, Menschen zu töten. Politiker führen Kriege, weil sie glauben, man könnte Anschläge verhindern, indem man selbst Anschläge ausübt. Leicht widersprüchlich, nicht?


Nach der Nachrichtensendung vor einer Woche, hatte ich plötzlich das Bedürfnis, mit meinen Freunden zu reden; mich bei ihnen zu melden - oder mich wegen eines Streites zu entschuldigen - sie wissen zu lassen, dass ich für sie da war. Ich habe einige per Telefon erreichen können und sie haben sich gefreut, von mir zu hören. Ich fühlte danach eine gewisse Erleichterung.


Zwei Tage später hörte ich in den Nachrichten von einem Flugzeugabsturz nördlich von hier. Es war ein entführtes Flugzeug gewesen, das direkt auf den Hauptsitz der Regierung zuflog, wo zu dem Zeitpunkt eine wichtige Konferenz stattgefunden hatte. Unsere militärischen Flugzeuge haben die Erlaubnis bekommen, das Flugzeug abzuschießen. Eine Freundin, die ich ein paar Tage zuvor angerufen hatte, saß in diesem Flugzeug.

Es gab keine Überlebenden.


Nach diesem Vorfall beschloss ich, nie wieder Nachrichten zu schauen.

Ich besuchte am Wochenende die Beerdigung meiner Freundin, hinterließ ihr Blumen und ein kleines Bild, das ich gemalt hatte. Ich sagte ihr, dass sie im Himmel besser aufgehoben sei als hier auf dieser schrecklichen Erde, wo doch nur noch böses geschah.


Gestern hörte ich Radio - mitten im Lied kam ein Newsflash, dass in einer Stadt südlich von hier Menschen auf offener Straße erschossen wurden. Die Terroristen kamen immer näher. Ein Paar meiner Freunde wohnten in dieser Stadt - ich hoffe, dass sie flüchten konnten und den kaltblütigen Mördern entkommen waren.

Ich machte das Radio aus und beschloss, es nie wieder einzuschalten.

Ich sperrte mich in meiner Wohnung ein und trennte mich vollkommen von der Außenwelt ab. Ich wollte davon nichts mehr hören, es war zu schrecklich.


Ich war erstaunlich ruhig, als ich gestern Nacht schlafen ging.

Ich wusste nicht, dass es meine letzte Nacht auf der Erde seine würde.

Ich träumte seltsame Sachen - von weiß gekleideten Engeln, die auf geflügelten Pferden ritten; von großen, lächelnden Wesen; von Musik - von einer Welt, in der alle in Frieden lebten. Ein Traum eben. Einer dieser Träume, die nie wahr werden würden.


Als ich heute früh erwachte, war ich traurig.

Ich hörte, wie das Baby in der Wohnung unter mir weinte und von der Mutter beruhigt wurde. Ich hoffte, es würde in einer schöneren Welt aufwachsen - doch wusste ich nicht, dass es nur acht Monate alt werden würde.


Die Explosion kam gegen Mittag. Ich habe nicht allzu viel davon mitbekommen - es gab zuerst einen lauten Knall - ich sprang erschrocken auf - die Wände und der Boden zitterten - ich hörte das Baby kurz panisch aufschreien, dann hörte es schlagartig auf - ich war froh, dass es nicht leiden musste - die Außenfassade des Wohnhauses fiel ab wie ein Bild von einer Wand - dann verschwand der Boden unter meinen Füßen, als das Gebäude in sich zusammensackte...
Was danach geschah, weiß ich nicht. Ich bin vermutlich mit dem Boden meiner Wohnung und mit den anderen Wohnungen vier Stockwerke hinunter gefallen - die anderen zwei Stockwerke müssen mich begraben haben.


Es ist jetzt fast Mitternacht - ich denke, die Rettungshelfer haben mich vor gut 1 1/2 Stunden geborgen aber ich glaube nicht, dass ich da schon tot war.

38 Minuten lang haben sie um mich gekämpft, während ich hier oben schwebte, zuschaute und wusste, dass es schon vorbei war.


Ich lebe nicht mehr auf euerer Welt. Zum Glück. Ich habe die Grenze zu einer anderen, besseren Welt überschritten - nun bin ich endlich befreit aus dem ewigen Teufelskreis des Lebens. Aus der Hölle befreit.
 
   
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